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Eins der stets geistreichen Zitate von Mark Twain lautet: „Immer, wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit, sich zu besinnen.“

Oft wird diese Situation erlebt: Nach „Erledigung des Einkaufzettels“ der Gang zur Kasse und die Frage, in welche Menschenschlange man sich anstellen soll. Selbstverständlich nicht in die Längste von dreien; allzu oft werden aber zwei völlig leere Kassen übersehen. Übersehen, dass es fünf Wahlmöglichkeiten gegeben hätte. Vorausgesetzt, mit allen Sinnen. Hingegen unser Gehirn signalisiert uns: Da, wo nichts passiert, da kann auch nichts sein. Schwarmintelligenz sieht anders aus.

Aus der Süddeutschen Zeitung vom 22. Juli: „In Barcelona gibt es eine Buslinie, die ist ungefähr so geheim wie der neundreiviertelte Bahnsteig bei Harry Potter. Man muss schon wissen, dass sie existiert. Ansonsten ist sie unsichtbar. Zumindest auf Google Maps. Anwohner hatten die Stadtverwaltung überzeugt, die Linie 116 aus digitalen Navigationswerkzeugen entfernen zu lassen. Weil man mit ihr den berühmten von Antoni Gaudí gestalteten Park Güell erreichen kann, hatten Touristen die Busse derart in Beschlag genommen, dass sie für Einheimische unbenutzbar geworden waren. So viel Einfallsreichtum müssen die Bewohner eines der weltweit beliebtesten Touristenziele mittlerweile aufbringen, um zwischen den jährlich 16 Millionen Besuchern noch ihr geregeltes Leben zu leben.“

Touristen, die sich in immer größeren Massen denn je auf den Weg machen, würde man gerne nach jenem Sinn fragen, was sie eigentlich zu tun glauben, wenn sie zu Zigtausenden aus Reisebussen oder Kreuzfahrtschiffen steigen und durch die Gassen schöner Altstädte strömen. Altstädte, die der sogenannte Kulturtourismus längst in reine Kulissenlandschaften verwandelt hat. Eine sinnfreie Antwort könnte lauten: Es sind womöglich nur diese Kulissen, die viele Touristen anziehen, so wieS... die Fliegen. Die Touristen reisen zu Millionen an Orte, wo Millionen andere bereits sind. Achtzig Prozent der Touristen besuchen nur zehn Prozent der Reiseziele, hat eine Studie ergeben, und so berichtet es die SZ.

Womit ich nicht ende, ist der Verrat, wie und wo ich auf meinen Reisen die leeren Kassen finde. Für die, welche noch unterwegs sind, wünsche ich einen schönen Verbleiburlaub. Und eine gute Besinnung mit allen Sinnen.

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Krisen und Zeitenwenden hat es immer gegeben. Die Vergangenheit wurde und wird schöngeredet, die eigene Gegenwart von den Leuten zu allen Zeiten unreflektiert als die schlimmste aller Zeiten angesehen. Und in die Zukunft wird mit ängstlichem Blick geschaut. Der Mensch bewegt sich auf der sich drehenden Erdkugel. Diese mag ihre Runden um die Sonne drehen, nicht schnell, nicht langsam, mit oder ohne menschliche Anteilnahme, aber stoisch.

8. November 63 vor Christus. Sternstunde der Rhetorik. Die ersten Reden Ciceros gegen Catilina. Ausnahmezustand im alten Rom. Der Politiker Lucius Catilina plant eine Verschwörung gegen den Staat.

Als Verteidiger der Republik tritt ihm Marcus Tullius Cicero entgegen, der gewählte Konsul des Jahres 63 vor Christus, der höchste Amtsträger des Staates. Was plant Catalina? Das ist nicht leicht zu entschlüsseln. Weil wir nur eine kritische Sicht auf Catilina haben. Nicht nur Cicero war ja ein Gegner Catalinas, auch der später schreibende Sallust, der uns das Geschehen überliefert hat.

Für Sallust steht fest, Lucius Catalina entstammte dem Adel, dieser habe dabei jedoch auch einen schlechten Charakter. Sein unersättlicher Geist wünsche ständig das Maßlose. Hatte ihn die gewaltige Gier befallen, die Macht im Staat an sich zu reißen?

Catalina will unbedingt Konsul werden. Mehrfach schon hat er sich beworben. Immer ist er gescheitert. Jetzt greift er zur Gewalt. Seine Anhänger fischen aus der Menge aller Unzufriedenen. Ein buntes Sammelbecken darunter, einstige Profiteure von der Diktatur Sullas 20 Jahre zuvor, die sich jetzt wieder an den Rand gedrängt fühlen. Ehrgeizige Adlige, die politisch nicht zum Zuge kommen. Bürger, die hoch verschuldet sind, also eine ganze Reihe von unzufriedenen Gruppen, die sich um Catilina scharten. Und die auch bereit sind, den Weg der Gewalt zu gehen, des Aufstandes.

Catalina setzte in Rom vieles gleichzeitig in Gang. Attentate auf die Konsuln, er bereitete Brandanschläge vor und besetzte strategische Plätze mit Bewaffneten, so berichtet Sallust. Für die Nacht zum 7. November planten sie die Ermordung des Konsuls Cicero. Ein Attentat auf den höchsten Amtsträger der Republik. Das ist ein Anschlag gegen den Staat. Cicero wird gewarnt, der Mordversuch scheitert.

Aber klar ist, die Lage ist brandgefährlich. Sofort ruft Cicero den Senat zusammen und hält die erste seiner berühmten Catalinischen Reden. Einen Tag später am 8. November folgt die zweite Rede vor der Volksversammlung:

„Wie lange noch Catilina willst du unsere Geduld missbrauchen? Bis wann soll deine Tollheit uns noch verhöhnen? Wie weit deine zügellose Dreistigkeit sich noch vermessen?" Rom, das sich einst von der Alleinherrschaft der Könige befreit und seit fast 500 Jahren eine stolze Republik ist. „Jetzt greifst du schon offen das gesamte Staatswesen an.“

Die Zeiten waren sehr schwierig. Seit 20 Jahren zuvor, seit den Entwicklungen mit Sullas Diktaturversuch, hatte sich die Gesellschaft desintegriert und war auseinandergefallen. In einer derartigen Notlage des Staates, ist es großes Geschick, sich achtsam zu verhalten. Der Schutz der Verfassung musste durch die Verfassung gedeckt sein. Der Weg zwischen ängstliches Gewähren totalitärer Kräfte und dem Abgleiten in die eigene Diktatur war nicht nur damals schwer zu finden.

Catilina, der jetzt so dreist ja auch war, zu dieser Senatssitzung, in der Cicero die erste Rede hielt, auch noch zu kommen. Cicero ist es tatsächlich gelungen, sowohl im Senat wie auch in der Volksversammlung eine Front gegen diese Aufständischen bewirkt zu haben. Das ist seine große rhetorische Fähigkeit gewesen, was anderes war es ja eigentlich nicht, seine Fähigkeit alle mitzunehmen bei seinem Kampf gegen diese Verschwörer.

Doch gebannt war die Gefahr noch nicht. Cicero wollte als Politiker mit Beredsamkeit und Wissen verhindern, dass in einer Zeit der Dauerkrise mit Gewaltausbrüchen und Bürgerkriegen die Waffen das Wort und die Diskussion verdrängen. Cicero ist sicher kein Pazifist gewesen, aber ein Kämpfer mit Worten. Mehrere 100 Reden sind von ihm überliefert. Weit über 800 Briefe, die er an Freunde und Politiker schrieb.

Sein Hauptthema: gegen die Diktatur, gegen die Alleinherrschaft und für die Erhaltung der Republik und ihrer Institutionen. Doch auch Cicero, der Magier der Worte, Meister der Überzeugung und vielleicht beste Redner seiner Zeit, kann den Untergang der Republik nicht verhindern.

Die Römische Republik, die ja ein feinjustiertes Zusammenspiel verschiedener Institutionen darstellte, war völlig aus den Fugen geraten. Nicht wegen der Catalinischen Verschwörung, sondern weil Angst vorherrschte. Und letzten Endes bestimmten diese Ängste auch die folgenden Jahre.

Bedrohliche Wolken ziehen über der Alten Republik auf. Im Jahr 49 vor Christus bricht der Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius aus, an dessen Ende Pompeius ermordet wird und Caesar sich zum Diktator auf Lebenszeit ernennt.

Mag der gegenwärtige Blick in die Zukunft auch ängstlich sein, er bleibt ungewiss und: offen.

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Eine Frage: Woher hat das Fragezeichen seine typische Form? Die gesprochene Sprache kennt die gehobene Stimme am Ende eines Satzes. Die Schriftsprache dieses geschwungene Zeichen am Ende des Satzes, in der spanischen Welt zusätzlich zu Beginn, kopfstehend. Das kann einem dann schon spanisch vorkommen.

Vom 9. Jahrhundert an setzte sich in den Schreibstuben des Fränkischen Reiches die karolingische Minuskel durch. Dazu zählten erstmals auch festgelegte Satzzeichen, darunter das Fragezeichen, so wie wir es heute noch kennen. Das gab es nämlich keineswegs schon immer, also weder im antiken Rom noch in der griechischen Welt. Die Geburtsstunde des Fragezeichens am Ende eines Satzes kam erst mit der Bildungsreform Karls des Großen auf, an seiner Hofschule unter seinem Berater, dem Kirchengelehrten Alkuin.

Das Schreiben von Bibelabschriften, Vertragsdokumenten und Proklamationen war eine sehr arbeitsintensive und spezielle Aufgabe der Mönche in den Klöstern. Bei der damals gängigen, sehr verzierungsfreudigen merowingischen Schrift hatte das zu immer mehr ausufernden kalligrafischen Maßlosigkeiten geführt. Manche Schriftstücke wurden daher nur noch als Häkelwerk wahrgenommen. Satzzeichen kamen zwar schon zum Einsatz, waren aber nur als später hinzugefügte Hilfen beim Vorlesen gedacht. Erst die sogenannte Interpunktion, trennte Wörter oder Sinnabsätze voneinander und machte die meist ohne Punkt und Komma und auch ohne Leerstellen durchgeschriebenen Texte erst lesbar. Zuvor wurde abgesehen von einzelnen schmückenden Großbuchstaben durchweg in Kleinbuchstabenschrift geschrieben, daher die Bezeichnung MinusKel.

Erst durch den Buchdruck ab 1450 wurde die Schrifttype, inzwischen zur Antiqua-Schrift weiterentwickelt, verbindlich festgelegt. Eine Entwicklung, die für das Fragezeichen erst mit dem sogenannten Buchdruckerduden von 1903 als abgeschlossen gilt.

Bleibt aber die Frage nach der Form. Den Bischofskrummstab mit der Krümmung nach links dürften sowohl Karl der Große wie sein Berater Alkuin deutlich und täglich gesehen haben. Häufig wird auch die mehrfach geschwungene Vornote quilisma als Ursprung des Fragezeichens interpretiert, weil sie in den gregorianischen Chorälen jener Zeit benutzt wurde, um so ein leichtes sich Emporschwingen der folgenden Noten anzukündigen. Das entspräche dann genau dem Ansteigen der Sprachmelodie bei einer Frage.

Schließlich fällt der Verdacht für das Fragezeichen auch auf den lateinischen Begriff quaestio, der auf zu lösende theologische oder rechtliche Probleme hinwies. Solche Stellen im Text wurden mit der Abkürzung qo angekündigt, deren Buchstaben dann übereinander platziert wurden und womöglich direkt zur Form des karolingischen Fragezeichens führten.

Wie auch immer das Fragezeichen seine heutige Form erlangt hat: Seit nunmehr tausend Jahren hat dieses Zeichen neugierige Fragen hervorgebracht und bleibt trotz Allgegenwärtigkeit selbst geheimnisvoll.

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Vier Minuten religiöse Morgenandacht im Radio ergänzen das Aufstehen. Noch nicht gänzlich wach: Die Form, nicht der Inhalt steht im Wahrnehmungsfokus: Kindersprache und Ansagen von der Kanzel. Zielgruppe ist das unmündige Radiopublikum.

Dann der Satz: „Ich empfinde es mega übergriffig, mich das persönlich auch nur zu fragen, mich.“ Das lässt aufhorchen. Später am Tag die gesamte Andacht in der Audiothek gehört. Thema ist das Miteinander. Das, was uns zusammenfügt. Die dreifaltige Verbundenheit zwischen mir, dem Lieben Gott und dem Anderen. Zu hören jedoch ausschließlich immer nur das Gottferne Wort ICH, im Verbund mit den Brüder- und Schwestergleichen Wortschöpfungen mir, mich, meins. 4:06 Minuten lang 50-mal diese Wörter, macht alle 5 Sekunden jeweils eins davon. Nahezu null Male das Wort Gott, kein einziges Mal die Erwähnung des Anderen.

So sieht heute christliche Nächstenliebe aus Expertensicht aus. Da passt die ins Gott- und Menschen BILD gefügte und empörende Reaktion über eine zu persönlich empfundene Frage ans Selbst, adressiert an das narzisstisch gekränkte ICH. Ist es ein Wunder bei so vielen ICHs & COs dieser Frühpredigten? Nein, alltägliches Frühstücksgewese! Überkreuz, das Fokus Wort der Morgenandacht ist der mündliche Ausstoß: ICH. Nicht das DU. Zu oft gefallen, dieses Wort zum Morgencafé. "Darauf erst einmal einen Dujardin". Alttestamentarischer Asbach Uraltspruch.

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Meine Sympathie für alles Dänische ist einschlägig bekannt. Man braucht nur den Link oben anzuklicken, um das zu erkennen. Ich bin gefragt worden, wem ich am Samstag beim Achtelfinale Deutschland gegen Dänemark die Daumen drücken werde. Die Zustimmung Dänemark bleibt natürlich abstrakt, solange es keine europäische Berichterstattung und eine Presselandschaft gibt, die nicht vor nationalen Grenzen Halt macht.

Außerdem habe ich damit gerechnet, mehr in Spiel- und Wettbewerbslaune zu geraten, doch das ganze Gewese drumherum geht mir diesmal aufs Gemüt. Aber wenn schon, dann soll dieser mein Gastgeber an den Dänen scheitern, nicht eine Runde drauf an den Spaniern. Ab den letzten Vier dann gerne wieder der deutsche Daumendruck und die heimische Siegerfaust.

Grundsätzlich immer vernünftig, einen Alternativplan zu haben: Im Jahr 1871 war ich nicht einverstanden mit der Kleindeutschen Einheitslösung. Gefragt bin ich aber auch nicht. Fürst von Bismarck machte sowieso, was er wollte und Antipoden Durchlaucht Fürst von Metternich konnte wegen Ablebens nicht mehr widersprechen. Dieser Schaumwein Disput ging auch ohne Videobeweis bei You Tupe, allein schon mit historischem Wissen zugunsten Berlins aus.

Also, die altdeutsche Ostmark wird in Berlin Euro Football Association Champion 2024. Dank und er soll Fußball hochgeschult werden, dass er mit der queren Regenbogenfarben Karte belobigt werden wird, Franz Joseph Ralf von und zu Piefke Rangnick.

Bevor ich in die rechte Spielfeldecke zur Buß- und Bettags Fahne gestellt werde: Das sind selbstverständlich auch in der gedanklichen Verlängerung alles keine richtigen Alternativen für Deutschland. Dennoch, auf der anderen Seite und ganz ehrlich gesagt, ein Endspiel Dänemark - Österreich, wer immer dabei abgeledert würde, könnte die Ampel auf Grün am Endspieltag am 14.Juli (21:00 Uhr) springen lassen. Denn im dann dahin dämmernden Olympiastadion von Berlin wäre konkretes Energiesparen zur finalen Endspielzeit möglich. Aufgrund vorrangig bleicher Häutigkeit könnten die Flutlichtmasten um einige Levels heruntergedimmt werden, ohne dass es die Feierlaune eintrüben täte.

The Winner Takes It All.

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Einsamkeit, so gesundheitsschädlich wie 15 Zigaretten am Tag.

Einsame Menschen haben ein erhöhtes Risiko, an Depressionen, Angststörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall oder Demenz, auch Impotenz zu erkranken. In Proben von Personen, die sich einsam fühlen, finden Mediziner höhere Mengen des Stresshormons Kortisol. Der Körper scheint Einsamkeit als Bedrohung anzusehen. Dieser reagiert mit Stressreaktionen, Kampf oder Flucht. Wer dauerhaft einsam ist, fühlt sich ständig bedroht. Einsame Menschen entwickeln auch eine zynische Weltanschauung.

Einsamkeit entsteht, wenn soziale Beziehungen mangelhaft sind. Den Mangel empfinden Betroffene als Verletzungen. Sehr schmerzhaft können dieser Mangel und Verlusterlebnisse sein. Ängste vor Verlassen und Verlassen im Dasein und Verlassen im Sosein. Einsame Menschen wünschen sich mehr oder auch nur tiefergehende Beziehungen. Ihnen fehlen wichtige Bezugspersonen, ihnen fehlt Vertrauen. Auf Einseitigkeit beruhende soziale Bindungen sind für Einsame toxisch.

Die Zeit, die man allein verbringt, ist kein Hinweis für Einsamkeit. Wer allein ist, muss nicht einsam sein. Allein zu sein und sich einsam zu fühlen, das ist nicht dasselbe. Wer allein sein möchte, kann sich freiwillig dafür entscheiden. Alleinsein kann sogar schön sein. Das Alleinsein lässt sich bewusst wieder beenden. Bei Einsamkeit funktioniert das nicht.

Das subjektive Empfinden von Einsamkeit, das sich in den Köpfen von Menschen abspielt, können Mediziner schwer messen. Viele Menschen geben ungern zu, einsam zu sein. Wie einsam sind Sie? Schlechte Frage. Stattdessen werden etwa Zustimmungswerte zu Aussagen wie diesen erfragt:

Ich bin unglücklich, weil ich so viele Dinge allein mache. Keiner kennt mich gut. Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann. Menschen sind um mich herum, aber nicht mit mir. Ich habe das Gefühl, dass mich niemand wirklich versteht, auch weil meine Umgebung mich nicht verstehen will oder auch nur kann, sei es aus Desinteresse, sei es aus gelebter, stets ichbezogener Gleichgültigkeit am Anderen.

Nicht nur Menschen, die viel allein sind, fühlen sich einsam. Auch unter denen, die viel Zeit mit anderen verbringen, geben Betroffene an, einsam zu sein. Das Paradoxe am Alleinsein und an Einsamkeit ist: Menschen können sich wohlfühlen, wenn sie allein sind. Und man kann in einem Raum voller Menschen einsam sein. Wenn sich Eheleute von ihrem Partner oder Familienmitglieder von ihrer Familie entfremdet fühlen, können sie extrem einsam sein. Physische Nähe schafft nicht zwangsläufig Verbundenheit, das schafft nur die emotionale Nähe. Einsamkeit ist insofern unsichtbar, da einsame Menschen schwer zu erkennen sind. Der Blick von außen kann nur verraten, wer allein ist.

Nicht aber, wer einsam ist.

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Würde jemand den Ukrainern sagen, ihnen würde die Freude vergehen, sich gegen die russischen Invasoren zu verteidigen, es käme zu empörenden Reaktionen - hoffentlich.

Erstaunlich wie quer, gerade auch nicht quere Menschen auf existenzielle Krisen reagieren und welch verschiedene Konsequenzen sie für sich daraus ziehen. Zu diesen Konsequenzen zählen nämlich und vor allem auch Verdrängung, Schönreden, Nicht-Wahr-Haben-Wollen.

So ist es auch mit dem Klimawandel. Der Satz mit der vergehenden Freude ist bezüglich des Themas Klimakrise geäußert worden („Die (wohlgemerkt!) Freude am Klimawandel vergeht doch den Menschen, wenn dieser was kostet!“). Starkregen, Überschwemmungen, Katastrophenalarm: Mehr sommerliche Regenfluten als Sonnenstunden. Doch Deutschland steckt den Kopf in den nassen Sand, hebt anschließend das Schlamm bedeckte Führerhaupt, reibt sich das vom Sandkorn gequälte Auge, bleibt dennoch trotz einwandfreier Autoscheibenwischer made in germany ohne Klarsicht, verbleibt dafür in Asphalt spiegelnder Aussicht und jammert mit verdreckter spitzer Zunge bevorzugt in den asozialen Medien: Wahnsinn, nicht zu fassen, gibt es doch gar nicht!

Veränderung nur ohne Anstrengung und ohne Zumutungen: Wandel ohne Wandlung! Selbst die Missbrauchs Götter sind uns abhandengekommen. Unser Ego ist uns geblieben. Nur das zählt und es wird doch zum Donnerwetter noch mal kostenfrei zählen - Sintflut hin oder her, bitte nach mir. Unsere Autos in den Städten gleichen bereits Panzern, da schafft deutsche Ingenieurskunst doch auch die Transformation zum alltagstauglichen und kriegstüchtigen Amphibienfahrzeug, Marke Salamander, Typ BattleLurch.

Zyniker sind im Grunde bloß desillusionierte Idealisten. (T.C. Boyles, Blue Skies)

P.S.:  Kurzkommentar zur Europawahl:  Wo Deutschland noch Weltspitze ist: Im Grünschnitt.

 

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Auf die Metaebene gehoben ist der Papst ein Computer-Atheist.

Ohne Sinn und ohne Wissen (siehe botenmeister vom 23. Mai 2024). In einem posthumanen Zeitalter lassen sich Analogien zu religiösen Weltvorstellungen herstellen - Religion, ein Phänomen mit (Un)Sinn, ohne Wissen, nur Glauben.

Gewissermaßen sind die posthumanen Schöpfer in einer Simulation für deren Bewohner wie Götter: Sie haben unsere Welt erschaffen, sind wesentlich intelligenter als wir, sind allmächtig insofern sie in unsere Welt eingreifen und dabei sogar gegen die Naturgesetze verstoßen können. Und sie sind allwissend insofern sie jegliches Geschehen überwachen können.

Dann wäre es ebenso denkbar, dass unser Verhalten nicht nur beobachtet, sondern auch bewertet wird, und vielleicht sanktioniert wird, wie es auch viele Religionen nahelegen. Denn wenn niemand sicher sein kann auf den Boden der Tatsachen zu stehen, dann muss jeder damit rechnen von seinen Simulatoren gleich nach moralischen Maßstäben für seine Taten belohnt oder bestraft zu werden. Auch ein Leben nach dem Tod wäre dann eine reale Möglichkeit. Jede der ineinander verschachtelten simulierten Zivilisationen hätte jeweils Grund sich vernünftig zu benehmen und sich moralisch richtig zu verhalten. Unsere Simulation gegenüber denen, die uns simulieren, diese wiederum denjenigen gegenüber, die sie simulieren - und immer so weiter. In einem wahren Engels-Roulette. So mag man aus dem Nichts eine Art von universell moralischem Imperativ gewinnen, dessen Befolgung in jedermanns Interesse wäre.

Und der Chinese mit der Sozial-Überwachungs-Hochtechnologie wäre schon heute ein religiöser Heilsbringer.

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Blick in die Glaskugel. In der Zukunft werden uns enorme Rechenkapazitäten zur Verfügung stehen, sofern der technische Fortschritt so weitergeht und nicht durch irgendeine schwerwiegende Katastrophe zum Erliegen kommt.

Demnach müsste es eines Tages möglich sein, dass unsere Rechenkapazitäten so groß werden, dass wir menschliches Bewusstsein in Computern erzeugen können. Dies wäre der Schritt ins posthumane Zeitalter. Einigen Wissenschaftlern zufolge ist es nur noch eine Sache von wenigen Jahrzehnten. Der genaue Zeitpunkt ist für unsere Überlegungen allerdings nicht wichtig, denn dass wir in einer Simulation leben, wäre ebenso möglich, wenn eine derartige posthumen Ära noch hunderttausende von Jahren in der Zukunft läge.

Unsere Spezies könnte natürlich aussterben, bevor wir das posthumane Stadium erreichen, weil wir beispielsweise einen riesigen Meteoriten entdecken, der auf die Erde zurast. Dann spräche das wohl für unser Menschheitsende. Wenn wir aber nicht aussterben und das posthumane Stadium erreichen, hätten wir dann nicht mit äußerst hoher Wahrscheinlichkeit ein Interesse, Simulationen der menschlichen Spezies ins Leben zu rufen? Schon allein zu Forschungszwecken oder aus schierer Neugier oder allein aus dem ewigen Bedürfnis heraus uns selbst besser zu verstehen?

Wir könnten mit Hilfe von Ahnensimulationen alternative Verläufe der menschlichen Evolution in Erfahrung bringen. Eine erstaunliche Vorstellung. Zudem eng verwandt mit den Theorien der Quantenphysik und der Annahme der Existenz unendlicher Paralleluniversen.

Andererseits wäre es möglich, dass solche Ahnensimulationen in unserer posthumanen Zukunft verboten wären, da die posthumanen Wesen den Bewohnern ihrer Simulationen kein Leid zufügen möchten. Aus unserer heutigen Sicht ist allerdings unklar, ob die Erschaffung einer menschlichen Spezies als unmoralisch gelten könnte. Neigen wir doch auch dazu, die Existenz unserer Art als äußerst wertvoll anzusehen.

Die Übereinstimmung moralischer Ansichten, Stichwort wertvoll, wäre zudem nicht genug. Hinzukommen müssten soziale Strukturen, die die als unmoralisch betrachteten Ahnensimulationen wirksam verhindern würden. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, dass nahezu alle posthumanen Individuen in nahezu allen posthumanen Zivilisationen, kein Interesse an Ahnensimulationen hätten. Diese müssten sich dann aber erheblich von denen ihrer menschlichen Vorgänger unterscheiden.

Wir verwenden bereits jetzt in nahezu allen Bereichen Simulationen primitiveren Ausmaßes, sei es in der Forschung, der Kunst, der Wirtschaft und nicht zuletzt (er)finden wir sie als spielender Mensch in spielerisch-simulierenden Situationen im Kindesalter. Nehmen wir also an, dass wir in einer Simulation leben, dann würde der beobachtbare Kosmos also nur einen Bruchteil der Gesamtheit alles Physischen darstellen. Die Physik des Universums, in dem sich der uns simulierende Computer befände, könnte der Physik unserer Welt ähneln oder auch nicht. Und obwohl die uns umgebende Welt in gewisser Weise real wäre, handelte es sich bei ihr dann nicht um eine substanzielle Ebene der Realität, da Objektivität fehlen würde.

Der griechische Philosoph Plato wusste um das Wissen, dass wir Menschen gar nichts wissen können. Leben wir also nun in einer Simulation oder nicht? Allein die Frage, mag so mancher denken. Andererseits hat man selbstverständlich jedes Recht, so eine Frage zu stellen. Nur wird man nicht weiterkommen, als sie lediglich stellen zu können. Die Frage allein bringt uns keinen Schritt weiter. Immanuel Kant würde sagen, wenn die Welt eine Simulation wäre, dann wäre der Mensch sich seiner selbst nicht mehr bewusst, da die Möglichkeit von Bewusstsein Objektivität voraussetzt. Und Objektivität wiederum hat als Bedingung, eine Welt außerhalb von uns zu denken, weil wir ein Bewusstsein unserer inneren geistigen Zustände nur im Verhältnis zu äußeren Dingen haben können. Wird deren Gegenwart geleugnet, wird man kein Bewusstsein der eigenen Existenz haben können. Der obigen Frage würde jede Sinnhaftigkeit fehlen - Simulation: vielleicht ja doch, nur ohne Sinn und Wissen.

(Fortsetzung: botenmeister am 6. Juni 2024)

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Sonne, Sommer und der Beginn saisonbedingter Jagden nach Stubenfliegen. Diese sind lästig und dabei noch flink in ihrer insektenspezifischen Feindbeobachtung. Dabei kann der Mensch gar nicht umhin, sich selbst als alleinigen Maßstab für Raum und Zeit zu sehen, das sind nun mal die Basics für jede menschliche Auffassung von Wahrnehmung. Am deutlichsten wird dies im Wort Augenblick. Eine Zeit für den Blick mit dem Auge, den zwei menschlichen Einzelaugen. Es sind keine Facettenaugen wie beim Störenfried, der Stören-Feind-Stuben-Fliege. Nur, welche Auffassung von der lebenden Natur ist die objektiv Richtige?

Aus Versuchen wissen wir, dass unsere Sinne durchschnittlich 18 Eindrücke in der Sekunde aufzunehmen vermögen. Ein Sinnesreiz muss also mindestens 1/18 Sekunde dauern, dass eins dieser Sinnesreize eins unserer Sinnesorgane erregen kann. Vorgänge die schneller verlaufen, zum Beispiel der Flügelschlag von Insekten oder eine Gewehrkugel im Flug, nehmen wir nicht unmittelbar wahr. Ihre Geschwindigkeiten sind schlichtweg zu schnell für unsere Sinne. Anders gesagt, sie sind unserem menschlichen Tempo nicht angemessen.

Stellen wir uns einmal vor, statt 80 Jahren würden wir nur einen Monat auf der Welt sein. In diesem einen Monat aber exakt genauso viele Sinneseindrücke haben wie in den 80 Jahren jetzt. Wohlgemerkt nur wir, nicht die anderen Naturlebewesen. Statt achtzehn Eindrücke in der Sekunde könnten wir demnach fast achtzehntausend Eindrücke in der Sekunde verarbeiten. Einer fliegenden Gewehrkugel, die wir wegen ihrer Geschwindigkeit jetzt nicht sehen können, könnten wir dann gemächlich mit dem Blick folgen, so langsam flöge sie für unser schnell sehendes Auge dahin. Sonne und Mond würden sich so langsam bewegen, dass es uns bereits schwerfiele, uns von ihren Bewegungen eine klare Vorstellung zu machen. Vom Wechsel der Jahreszeiten würden wir selbst nichts wahrnehmen.

In den Schriften unserer Vorfahren läsen wir erstaunt von Zeiten, in denen die Erde ganz mit einer weißen Schicht, dem Schnee bedeckt war, das Wasser fest wurde und die Bäume keine Blätter hatten, dass es dabei sehr kalt war. Und später die Wärme wiederkehrte, das Wasser wieder floss, die Erde sich mit Gras und die Bäume mit Blättern bedeckte. Würden uns diese Berichte viel anders berühren als Mythen und Mären aus unserer fernen Urzeit? Wir würden sie lesen, wie wir heute Drachen und Sintflut sagen, Sagen von versunkenen Städten und Kulturen lesen.

Was aber erst würde sein, wenn unsere Lebensuhr noch rascher ginge? Wenn wir also nicht nur tausendmal, sondern tausend mal tausend, ein eine Million Mal schnelleres Zeittempo hätten. Wir lebten dann nur 40 bis 42 Minuten. Unsere Sinne würden so schnell arbeiten, dass uns fast die ganze Welt stillzustehen schiene. Nichts mehr würden wir vom Wachstum der Pflanzen erkennen können. Die vergänglichsten Blüten kämen uns unvergänglich vor. Vom Wechsel zwischen Tag und Nacht könnte der Mensch während seiner Lebensspanne unmöglich eine Vorstellung gewinnen. Vielmehr würde ein alter Mensch unter diesen Minutenmenschen, wenn er im Sommermonat Juni um 18:00 Uhr abends geboren wäre, gegen Ende seines Lebens vielleicht zu seinen Enkeln sprechen: Als ich geboren wurde, stand das glänzende Gestirn, von dem alle Wärme zu kommen scheint, höher am Himmel als jetzt. Seitdem ist es viel weiter nach Westen gerückt. Aber auch immerfort tiefer gesunken. Zugleich ist die Luft kälter geworden.

Es lässt sich voraussehen, dass es bald nach ein oder zwei Generationen etwa ganz verschwunden sein wird. Und dass dann erstarrende Kälte sich verbreiten muss. Tausende von Generationen müssten dahin gehen, ehe die Menschheit einmal den Kreislauf eines Jahres durchmessen hätte. Unbewegt würden die Vögel in der Luft schweben. Höchstens berechnen könnten wir ihre Flugbewegungen wie wir heute die Bahnen ferner Sterne berechnen.

Wir könnten auch den umgekehrten Weg gehen. Nehmen wir an, unser Zeittempo wäre tausendmal langsamer als es jetzt ist und wir lebten nicht 80, sondern 80 Tausend Jahre. Wie nähme sich da die Welt für uns aus? Alles geriete plötzlich in gespenstische Bewegung. Innerhalb weniger Stunden lösten Frühling, Sommer, Herbst und Winter einander ab. Kaum wären Eis und Schnee geschmolzen, sprössen Gräser und Blumen aus dem Boden hervor, schmückten sich die Bäume mit Blättern, setzten sie die Früchte an und verlören sie ihre Blätter wieder. Die Zierpflanzen in unseren Blumentöpfen und Gärten würden uns wie herrliches Feuerwerk, wie hoch explodierende Raketen vorkommen.

Kaum hätten wir das Saatgut in die unruhig brodelnde Erde gesenkt, schon schösse ein grüner Strahl der Stängel in die Höhe und zerplatzte oben in einem jäh aufleuchtenden Blütenzauber bunter Farben. Einen Augenblick später wäre nichts mehr von allem da, das Feuerwerk bereits zu Ende. Andere Pflanzen würden, wie funkelnde Springbrunnen unaufhörlich vor uns aufsteigen und wieder zusammensinken. Wieder andere, ein seltsam geformtes Gewese wie Schlangen auf dem Boden umherkriechen als suchten sie nach Beute. Fantastisch erschiene uns der Tag Nacht Wechsel. In der einen Minute stünde die Sonne am Himmel, in den nächsten der Mond. Und die Sonne zöge einen leuchtenden Schweif hinter sich her.

Aber was wäre, wenn wir unser tausendfach verlangsamtes Zeittempo noch einmal ums Tausendfache verlangsamten? In dieser Welt gäbe es keinen Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht. Zu rasch würden Licht und Dunkel aufeinanderfolgen. Ein Feuerring wäre unsere Sonne, eine rasend sprintende Kugel. Und wahrscheinlich würde es lange dauern, bis in dieser verwandelten Welt ein Genius, ein „Kopernikus“ aufstünde, seinen staunenden Zeitgenossen zu verkünden, der Feuerring sei nur Augenschein, die Erde werde in Wirklichkeit von einer strahlenden Kugel erleuchtet. Ähnlich stünde es mit dem Wechsel der Jahreszeiten. Zwar nähmen wir ihn wahr, aber alles ginge so rasch vorüber, dass wir Mühe hätten, uns dem Wechselspiel der Verwandlungen anzupassen. Kaum hätten wir uns vom Stuhl erhoben, um durch das Fenster in den frühlingshaften Garten zu schauen, schon brausten die Herbststürme durch die Wipfel der kahlen Bäume und einige Sekunden später jagten die Wirbeltänze der weißen Flocken über die leeren Beete dahin.

Zurück auf Start, Musca domestica, zur Stubenfliege. Eine der düstersten Aussichten via Zukunft, ist die einer staugefluteten deutschen Autobahntrasse, versehen mit unzähligen Monstertrucks, an den Steuerknüppeln evolutionär zum Rapid-Move herangezüchtete Großinsekten: Die der Verkehrselite zugehörige Monsterschabe. Dagegen wäre der deutsche Kfz-Führer ein vom Raub- da nieder degeneriertes Schmusekätzchen. Infarktgeschehen.

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